rabensturm: (drei)
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Wir wollten ja schon lange mal ins Landesmuseum für Vorgeschichte nach Halle. Zum einen, weil da die berühmte Himmelsscheibe von Nebra liegt (wenn sie nicht gerade ins British Museum reist), zum anderen, weil da insgesamt viel Sehenswertes zu finden ist. Mitteldeutschland ist seit uralten Zeiten Siedlungsraum, es gibt hier zahlreiche spannende Fundstücke.

Wir hatten uns vorher informiert, nicht zuletzt, um zu wissen, ob die Himmelsscheibe wieder da ist. Dabei haben wir gesehen, dass es sonntags „Führungen für Ausgeschlafene“ gibt, das kostet nicht mal was, nur den Eintrittspreis. Und das war eine super Idee – das war die beste Führung ever, so lebendig und informativ, dass es einen neuen Maßstab setzt.

Wir haben es mit P&R und Straßenbahn rechtzeitig zum Museum geschafft:



Für die Führung waren wir durchaus ein größeres Grüppchen. Matthias, der Guide, fragte zuerst, ob wir einen Überblick über mehrere Dinge wollen oder lieber informativ was zu Einzelstücken. Die Gruppe wählte ersteres – aber das waren schon ganz schön detaillierte Einblicke zu verschiedenen Stücken. Zum Glück! So viel davon wäre uns nur mit der Beschilderung entgangen. Wir waren reichlich zwei Stunden unterwegs – haben dann im Museumscafé traurige Würstchen gegessen und sind dann alleine noch mal durch das Museum.

Mit der Führung ging es durch die prähistorische Abteilung, ich versuche mal ein bisschen was zusammenzufassen, an das ich mich erinnere:

Fundplatz Bilzingsleben

Eine 400.000 Jahre alte Wohnstätte einer Gruppe von Homo erectus, die in Thüringen gefunden wurde. Man erinnere sich, Homo erectus ist der Vorfahr von Neandertalern und modernen Menschen und vermutlich Zitat: „die erste hominine Art, die das Feuer benutzte; die erste, die das Jagen als ein wesentliches Element zur Sicherung ihrer Nahrungsversorgung einsetzte; die erste, die wie ein moderner Mensch laufen konnte.“

Die Funde zeigen diese Leute als soziale Gruppe, die sich mit ihrer Umwelt und dem Tod beschäftigen – dafür spricht ein Stein, der als Altar oder Amboss gedient haben mag, Büffelschädel und Trümmer menschlicher Schädel. Vielleicht war das ein Ritualplatz, eine Begräbnisstätte.

Sehr spannend und machte durchaus auch Lust, sich die Fundstätte mal anzuschauen. Für die Woche war es uns aber zu weit für einen Tagesausflug. Nach Thüringen kommen wir ja bestimmt mal wieder – und hier steht ja jetzt der Name als Erinnerung. ;)

Elefanten:

Es gibt Mamutse und ein riesiges Elefantenmodell, anhand dessen uns die Funde eines Waldelefanten erklärt wurde.



Das Ganze wurde in Zusammenhang gesetzt mit der Bevölkerung dieser Zeit, den Neandertalern, die durchaus auch die Elefanten gejagt haben mögen. Sehr gut fand ich an dieser Stelle, dass an den vorhandenen Neandertalermodellen der Stand der neuesten Forschung erklärt wurde. Zum Beispiel, dass Neandertaler (und auch Homo Sapiens) sehr viel dunkelhäutiger waren, als meistens dargestellt, und auch, dass die unterwürfige Position der Frauen wohl nicht der Wirklichkeit entsprach. Die Frauen haben sich ebenso an der Jagd beteiligt und waren körperlichähnlich entwickelt wie die Männer.

Ähnliche Erläuterungen gab es zum Homo sapiens. Auch da sind die Vorstellungen häufig noch von alten Klischees geprägt. – Um die infrage zu stellen, hatten sie ein Bild von einer prähistorischen Jägerin, die sehr… äh modelmäßig dargestellt war. Zeigt vermutlich mehr von heutigen Schönheitsidealen als allem anderen, mit Silikonbrust und gestylter Frisur… huiuiui…

Wichtiger Fund an der Stelle:

Die Schamanin von Bad Dürrenberg:

Dazu passieren gerade ganz spannende Dinge in der Forschung. Man nahm aufgrund der Grabbeigaben schon länger an, dass es sich um eine Schamanin gehandelt hat. Sie wurde sitzend (aufrecht hockend) bestattet und hielt einen Säugling im Schoß. Die Grabgrube war fast 30 cm mit Rötel gefüllt – unser Guide erklärte uns, wie außergewöhnlich das ist und welchen Aufwand es bedeutet, eine Menge Erde so rot zu färben. Erstaunlich ist eine anatomische Anomalie der Frau, die sie vermutlich befähigte, mit einem Kopfnicken ohnmächtig zu werden. – Ein Weg zu den Geistern!

Insgesamt war ihr Gesundheitszustand nicht besonders gut. Ihr ganzes Skelett war schief, vermutlich konnte sie schlecht laufen. Sie war vermutlich sehr beleibt und ihre oberen Schneidezähne waren abgeschliffen, was durch Entzündungen vermutlich zu ihrem Tod geführt hat (aua schon die Vorstellung dieser Zahnschmerzen). Unser Guide erklärte uns, dass es heute noch schamanistische Praktiken gibt, bei denen der/die Schaman*in sich Schmerzen zufügt, um für den Kampf in der Geisterwelt gerüstet zu sein. Oder um Zugang zur Geisterwelt zu haben. Das mag auch hier der Fall gewesen sein. Außerdem zeigen Genuntersuchungen, dass die Schamanin vermutlich Afrikanerin war – auch das außerordentlich bemerkenswert.

Geschichtlich wanderten wir weiter von Jägern und Sammlern zu den ersten Ackerbauern. Dem Wandel der Gesellschaft, der damit verbunden war. Man mag den Eindruck gewinnen, dass – zumindest für die Frauen in der Gesellschaft – die Sesshaftigkeit nicht unbedingt Verbesserungen brachten. Zum einen erhöhte sich ihre Sterblichkeit (weil sie deutlich mehr Kinder bekamen als die Jägerinnen/Sammlerinnen), zum anderen entwickelten sich Hierarchien und soziale Strukturen, Besitz und auch erste gewalttätige Auseinandersetzungen. Die Familiengräber von Eulau mögen – vielleicht – ein Beispiel sein für Frauenraub und Gewalt an Frauen. Ich lerne den unschönen Begriff „Übertötung“.

Kommen wir zum Schmuckstück:

Die Himmelsscheibe von Nebra:

Die Scheibe war in einem dunklen Raum ausgestellt unter einem sich drehenden Sternenhimmel – das war schon sehr eindrucksvoll:



Das Bild ist ja bekannt, vermutlich auch die abenteuerliche Fund- und Verkaufsgeschichte. Dazu bekamen wir noch ein paar Details, die unter anderem auch die kratzige Seite eines Spülschwamms beinhaltete. *irx*

Was die Funktion angeht – da ist es wohl vor allem ein Machtinstrument gewesen. Voraussagen zu machen, Wissen zu haben. – Ich mochte die entschiedene Aussage, dass die Bauern sowas nicht brauchen, um den Zeitpunkt zur Ernte zu bestimmen. Bauern gehen nicht nach Sternenaufgang, denen reicht grob die Jahreszeit, die sie selbst erkennen und natürlich Wetter und Wachstumsverhältnisse.

Wir lernen, es war die Aunjentitzer Kultur, zu der die Himmelsscheibe gehörte (ob sie hier hergestellt wurde, ist nicht klar). Die Aunjentitzer sind aus einer Verschmelzung der Glockenbecher- und der Schnurkeramikkulturen hervorgegangen – von denen hat man immerhin schon mal was gehört.

Doch, sehr beeindruckend, um so mehr unter dem Sternenhimmel. Eine Weile merken wir uns vielleicht auch noch, wie man die Plejaden am Sternenhimmel findet (wobei meine Augen für die eh nicht gut genug sind).

Es war schön, die Scheibe im Original gesehen zu haben. – Ich persönlich überlege noch ein bisschen an der Frage, ob ein Original für mich als Museumsbesucher einen besonderen Wert hat. Kopien sind heutzutage so gut und bei all der kolonialen Raubkunst bin ich immer vehement dafür, die Originale zurückzugeben und hier Repliken auszustellen. Man darf die Originale ja eh nicht anfassen, halten, ablecken, warum sollte es also nicht eine gute Replik tun…? Und doch war es schön, das Original zu sehen – weil man eben weiß, dass es das Original ist und tausende Jahre alt und Teil einer fernen Kultur und Objekt vergessener Rituale… Alles nicht so einfach.

Unsere Führung endete an der Himmelsscheibe. Wir haben uns gestärkt und dann noch einmal auf eine eigene Runde gemacht. Noch mal oben durch den Bereich Vorgeschichte, noch mal Fotos machen, wozu vorher nicht immer Gelegenheit war.



In der anderen Etage geht es in geschichtliche Zeiten, es gibt etwas über die Thüringer zu sehen, die Germanen, die Römer, frühes Mittelalter. Das war auch interessant, wir waren aber nicht mehr ganz so aufnahmefähig. Und irgendwie passten die Römer und das Mittelalter auch nicht ganz zur Vorgeschichte, der sich das Museum ja verschrieben hat. Vermutlich wär es zu schade, die Sachen nicht auszustellen – und vielleicht interessieren sich da Leute auch mehr für als nur Steine und Steinwerkzeuge. ;)

Das war ein sehr lohnender und empfehlenswerter Museumsbesuch – danach waren wir dann platt und sind nur noch ins Quartier geschlumpft. ;)

Stimmung:
gebüldet
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