18 Jul 2017

rabensturm: (feder)
Ich sagte ja schon, dass sich Sigulda in der Lettischen Schweiz befindet. Nicht, dass es hier hohe Berge gibt – aber es gibt ein tiefes Tal, mit dem sich der Fluss Gauja in die Ebene gegraben hat. Die Landschaft ringsum ist der Gaujas-Nationalpark und bietet schöne Gelegenheit zum Wandern, Radfahren und eben draußen aktiv sein.

Die Anhöhen über dem Fluss boten aber auch immer schon strategischen Nutzen, so dass sich in und um Sigulda drei Burgen befinden, die in Sichtweite voneinander über das Tal wachen (und übereinander). Da ist zum einen in der Stadt selbst die Ordensburg der Schwertbrüder (livländischer Zweig der Deutschordensritter). Auf der anderen Seite der Gauja befindet sich die Burg Turaida, die 1214 der Bischof von Riga errichten ließ. Turaida wurde Bischofssitz und sollte als Gegengewicht zur Burg des Schwertbrüderordens dienen. Davor gab es wohl eine livländische Holzburg; die (heidnischen) Livländer waren aber schon Anfang des 13. Jahrhundert besiegt und auch christianisiert worden. Liven gibt es übrigens immer noch als Minderheit in Lettland, aber nur noch mit etwa 200 Angehörigen.

Nach dieser historischen Einordnung kommen wir also zu den einzelnen Burgen. ;)



Zuerst haben wir die Burg Turaida besichtigt, die als rekonstruierte Anlage touristischer Hauptanziehungspunkt ist. Auf dem Gelände ringsum gibt es auch (mal wieder) einen Skulpturengarten, eine alte Holzkirche, ein kleines Museum zur Geschichte der Liven und einen Volksliederhügel.



Die Burg ist wirklich hübsch restauriert. Man kann auf den Turm steigen. Einige Räume sind innen restauriert, wie die Kammer des Bischofes. Es gibt wissenswertes zu den Fundstücken, die im Rahmen der Bauarbeiten ausgegraben wurden. Und alles ist hübsch anschaulich dargestellt. Die Aufsichten der einzelnen Räume liefen auch gewandet umher – ohne dass es aber groß Interaktionen gab; irgendwie erwarte ich bei gewandeten Leuten automatisch Beteiligung.



Wir haben jedenfalls gelernt, dass der Herr Bischof bereits eine Heizung hatte und dass auch damals schon Tiere ihre Tapsen an unpassenden Stellen hinterlassen haben. ;)

Netterweise gab es Sonnenschein, solange wir die Burg besichtigt haben; das macht sich auf den Fotos immer besser. Ein Regenguss überraschte uns auf dem Rückweg, da haben wir solange in der Holzkirche Schutz gesucht. Dort haben sie mit einem Filmchen mittels Sandmalerei die Legende der „Rose von Turaida“ illustriert. Die Geschichte soll sich hier abgespielt haben und das Grab der Rose von Turaida ist ein beliebtes Touristenziel.

Maia Rose war ein Waisenmädchen, das Anfang des 17. Jahrhunderts vom Herren der Burg wie eine Tochter aufgezogen wurde. Sie war wunderschön und sittsam und rein. Sie liebte Viktor Heil, einen aus Deutschland eingewanderten Gartenbaumeister. Ein polnischer Söldner hatte aber ebenfalls ein Auge auf das Mädchen geworfen. Durch einen falschen Boten ließ er sie in die Gutmannshöhle unterhalb der Burg locken, dem Treffpunkt mit ihrem Liebsten. Aber da wartete nur der Söldner, der sie vergewaltigen wollte. Rose versprach ihm ein wundertätiges Halstüchlein, wenn er sie verschone. Das Tüchlein würde unverwundbar machen; er solle es an ihr erproben. Der als abergläubisch bekannte Söldner versetzte Rose daraufhin einen Schwerthieb gegen den Hals – Rose brach zusammen und starb, lieber tot, als entehrt. Der Söldner hat sich erhängt, der Liebste wurde zunächst des Mordes beschuldigt, dann aber nach Aufklärung des Dramas freigesprochen. Er ging nach Deutschland zurück, nachdem er auf dem Grab seiner Rose eine Linde gepflanzt hatte. Die Linde steht da heute noch.

Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was an der Geschichte wirklich romantisch sein soll mit Vergewaltigung und Tod…

Die Gutmannshöhle unterhalb der Burg haben wir übrigens auch besichtigt. Das Flusstal hat hier eine Art Steilwand geschaffen. Das auch hier schon lange Touristen vorbeikommen, sieht man an den Wappen und Ritzzeichnungen, die sie um die Höhle in den Felsen gekratzt haben.



Wenn sie alt genug sind, werden Schmierereien auch wieder Kunst. ;)

Wir sind neben der Höhle noch mittels einer endlosen Treppe zu einem Aussichtspunkt aufgestiegen. Auch oben am Rand des Hochlandes kann man vermutlich schön entlangwandern.

Zurück in Sigulda haben wir uns dann die Ordensburg angeschaut.



Sigulda (zu Deutsch Segewold) hat neben der Burgruine noch ein Neues Schloss, das sich im 19. Jahrhundert ein wohlhabender Gutsbesitzer errichten ließ. Es bildet so einen spannenden Kontrast zum Mittelalter.

Von der Burg selbst ist weniger erhalten (oder wieder aufgebaut) als von Turaida. Trotzdem ist sie mit ihrem roten Templerkreuz sehr eindrucksvoll. Sie wirkt rustikaler mit den rohen Mauerresten, aber das hat mir trotzdem gut gefallen.



Ein hölzerner Wehrgang wurde restauriert, so wie ein Wachturm mit Blick auf Turaida und Krimulda. Im Sommer finden hier Opernfestspiele statt, daher gibt es eine feste Bühne mit Publikumsbereich.

Für uns hat aber der Rundgang gereicht. Im Gegensatz zu Turaida waren wir hier auch fast die einzigen Touristen, das ist natürlich für eine Erkundungstour auch immer sehr angenehm. :)

Im Ort sind wir dann an den Spazierstöcken vorbeigelaufen, die das touristische Markenzeichen der Stadt sind. Wir waren in der Kirche und sind nach Aufforderung eines alten Mütterchens auch auf den Turm gestiegen.



Das war überraschend nett. Einerseits gab es unterwegs Kunst aus Knöpfen zu sehen. Andererseits war es auch eine ganz normale Dorfkirche und der Aufstieg erschien ganz abseits von touristischen Wegen.

Sigulda – oder allgemein der Gaujas-Nationalpark – hat sich uns von seiner apriligen Seite gezeigt. Das Wetter war hier unberechenbar und wechselhaft; es konnte aus strahlend blauem Himmel gewittern und schütten. Minuten später herrschte wieder harmloser Sonnenschein. Wir sind also auch mal nass geworden auf dem Weg zur Seilbahn. ;)



Die Seilbahn überquert das Tal der Gauja, von Sigulda nach Krimulda. An dem Tag fanden aber gerade Wartungsarbeiten statt, so dass wir nur von außen geguckt haben. Außerdem sind wir am Abend noch zur Bobbahn gelaufen, um der Vollständigkeit auch die anzugucken.



Gegessen haben wir mittags was Süßes in einer „Eklers“-Konditorei und abends wieder bei den netten Mädels vom Bistro. ;)

Stimmung:
etwas fußlahm
rabensturm: (feder)
Unser nächstes Quartier war in Tallinn – das sind von Sigulda aus reichlich 300 Kilometer, also eine ganz schön lange Tagesstrecke. Wir hatten vorher länger darüber sinniert, was wir unterwegs anschauen wollen und welche Route es sein soll. Letztendlich haben wir uns für Natur und gegen Stadtbesichtigung entschieden; Städte und Burgen und Strandpromenaden hatten wir ja schon einige. Stattdessen haben wir uns den Soomaa-Nationalpark ausgeguckt.

Soomaa heißt auf Deutsch Sumpfland. Es ist eine Gegend im Einzugsgebiet des Flusses Pärnu, die jedes Jahr überschwemmt wird. Man sagt, es gibt hier fünf Jahreszeiten: Frühling, Sommer, Herbst, Winter und Überschwemmung. Die kleinen Dörfer und Gehöfte waren früher in dieser Zeit ganz abgeschnitten und konnten nur noch mittels Einbaum erreicht werden. 1993 wurde der Nationalpark errichtet, um die besondere Landschaft zu schützen.



Das ist das Nationalparkzentrum. Um da hinzukommen mussten wir ein ganzes Stück auf Schotterstraßen durch den Wald fahren. Das Geschepper und Gerutsche ist mir mit Mietwagen ja immer nicht ganz geheuer – jeder asphaltierte Kilometer ist ein guter Kilometer – aber wir sind ja doch heil angekommen. Im Zentrum selbst waren sie sehr nett, haben uns Karten und gute Ratschläge gegeben, so dass wir uns ein bisschen was vom Nationalpark ansehen konnten.

Wir haben uns zunächst für den Biberweg entschieden, der gleich hinter dem Zentrum losging. Nicht den ganzen, wir wollten ja noch was anderes angucken. Und so sind wir nur das barrierefreie Stück des Weges gelaufen. Man sehe und staune, ganz selbstverständlich ein Bohlenweg in Rollstuhl- oder Kinderwagenbreite, rutschsicher und mit Ausweichstellen. Wäre es doch überall so einfach!



Der Biberweg führte durch einen Wald, Bruchwald würde ich sagen, mit sumpfigen Untergrund und Ausblick auf Fluss und Feuchtwiesen. Es gab Schilder, die Pflanzen und Tiere erklärten, das war alles sehr hübsch gemacht. Und die Natur und der Weg waren natürlich auch toll.



Biber haben wir allerdings keine gesehen. Elche auch nicht, aber ob man das als Fußgänger unbedingt möchte… ;)

Wir haben am Nationalparkzentrum noch gepicknickt, sind dann über die Schepperstraße wieder zurückgefahren bis zum Parkplatz des Riisa Bog Trail. Hier führt ein Bohlenweg auf knapp 5 Kilometern durch das Moor. Eine weite Fläche mit krüppeligen Kiefern und einem ganz eigenem Zauber.



Wieder gibt es einen Bohlenweg – einen Teil der Strecke wieder rollstuhlgerecht. Wir hatten den Weg auch größtenteils für uns allein, die Leute haben sich auf der Strecke schon verteilt. Und eigentlich konnte man pausenlos in alle Richtungen fotografieren, weil es überall so schön aussah.



Ab und zu gab es offenes Wasser, in den verschiedenen Stadien der Versumpfung. Durch die vielen Farben, die Wasser, Boden und Pflanzen hatten, wurde das auch nicht langweilig.



Auf der Hälfte der Strecke gab es einen Aussichtsturm, um die Landschaft mit mehr Überblick betrachten zu können. Endlose Landschaft, wie es von da oben schien, gesäumt von dunkelgrünen Streifen Wald. Der Bohlenweg führte hier für Fußgänger weiter, für Rollstühle und Kinderwagen war es die Wendestelle.



Das war wirklich sehr schön hier mitten im Moor bei Sonnenschein. Vogelstimmen und Libellensurren begleiteten uns, ansonsten gab es nur Wind und Wasser und Bäume. Ein ganz eigener Zauber, aber – zumindest bei Sonnenschein – kein bisschen bedrohlich oder unheimlich. Ein Stückchen hatten wir auch festen Boden unter den Füßen, als es durch einen Wald ging, zurück zum Parkplatz ging es dann weiter über den Bohlenweg. Doch man kann sich gut vorstellen, dass der Grund unter Moos und Wasser bodenlos ist.

Es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung, den Abstecher in das Sumpfland zu machen. Städte kann man ja immer mal haben – und Stadt hatten wir am Abend noch. Wir mussten ja noch rein nach Tallinn, was mit den Einbahnstraßen im Zentrum nicht ganz einfach ist. Wir haben uns aber ganz gut zurechtgefunden; das Hotel hatte tatsächlich auch einen (abschließbaren) Parkplatz. Allerdings hatten sie auch nur ein Doppelzimmer für uns, obwohl wir wie immer ein Twin gebucht haben. Das ließ sich am Abend nicht mehr ändern, aber am nächsten Tag konnten wir doch noch umziehen. Alles gut also.

Wir haben uns am Abend auch noch ein bisschen in der Stadt umgesehen. Die Altstadt war in bequemer Laufweite. Tallinn ist deutlich hügeliger als Vilnius oder Riga – und auch sehr viel mittelalterlicher, weil noch große Teile der Stadtmauer und der Befestigungsanlagen erhalten sind.



Die richtige Stadterkundung haben wir uns für einen anderen Tag aufgehoben. Wir haben uns nur ein bisschen umgesehen und was zu essen gesucht. Dabei war auch nicht zu übersehen, dass Tallinn die touristischste der baltischen Hauptstädte ist. Viele Leute und an den Restaurants standen Werber, die einen zum Einkehren bequatschen wollten. Das ist ja so gar nicht unseres, wir wollen das ja lieber selber entscheiden (was einfacher gewesen wäre, wenn Karten mit Preisen draußen zu finden wären). Wir haben uns auf einen Burgerladen eingelassen und durchaus gut gegessen, aber leicht genervt waren wir schon.

Auf dem Heimweg wollte ich dann noch mal das Meer sehen. Wir sind Richtung Hafen und haben einen russischen Monumentalbau erklommen; ein Bunker oder Bollwerk zur Grenzsicherung (oder Eroberung?) Richtung Finnland.



Mitten in der Stadt ein riesiger Lost Place, der aber immerhin tolle Aussicht auf das Meer und die Abendsonne bot. – Viel Abendsonne und lange Abendsonne, wir waren ja nun noch mal 300 Kilometer weiter nördlich. Das hat man deutlich gemerkt an der längeren Helligkeit. :)

Stimmung:
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