20 Dec 2017

rabensturm: (Wächter)
Vor einer Weile hat Frau Kaltmamsell die Frage gestellt, wovon die Großeltern gelebt haben. Zusammenkam eine ganze Sammlung von Familiengeschichten und Lebensentwürfen, die im Kleinen vielleicht nicht als heldenhafte Romanhandlungen taugen mögen, aber eben vom Leben erzählen.

Ich hab am Wochenende Mama ausgefragt, die sich glücklicherweise vorher schon mal die Mühe gemacht hat, Fotos und Daten zusammenzutragen als kleine Familienchronik. Ich kann schon mal sagen, die Familiengeschichten hier bewegen sich alle im kleinen Kreis einfacher Arbeiter – und auch in kleinem geographischem Kreis von etwa 15 km im Erzgebirge. Erst meine Generation oder noch eine jünger zieht weiter hinaus.

Väterliche Seite:

Ich kann mich an meine Urgroßmutter erinnern, die Mutter meines Vatersvaters. Ihr Mann ist 1940 gestorben, da waren ihre beiden Jungs schon groß. Ob und was sie gearbeitet hat, weiß ich nicht, ich kenn sie nur als hutzelige alte Frau mit biestigem Charakter, ich hatte als Kind immer Angst vor ihr. Meine letzte Erinnerung an sie ist aber eine schöne: sie war am Ende bettlägerig nach einem Oberschenkelhalsbruch, ich (9 oder 10 Jahre alt) hab ihr vorgelesen und das war für uns beide schön. Heute weiß ich, dass das „biestig“ wohl eher ein starker, unabhängiger, ruppiger Charakter war, dass sie bei groben Arbeiten fest zupacken konnte, dass sie auch gern ein Schnäpschen in der Tasche hatte und nicht auf den Mund gefallen war. Sicher war es für meine Oma nicht leicht, mit einer solchen Schwiegermutter unter einem Dach zu leben – aber ich empfinde doch Sympathie für sie. Und ich liebe das Foto:



Mein Opa, also ihr Sohn und der Vater meines Vaters, hat Schreiner gelernt. Das Arbeiten mit Holz war auch immer das, was ihm am Herzen lag und was ihn glücklich machte. Gearbeitet hat er später in der Brauerei im Ort im Büro, mit Holz hat er dann in seiner Scheune gewerkelt. Er war vielseitig interessiert, ist im Rahmen der Möglichkeiten gern gereist, war Held unserer Kindheit, der Puppentheater für uns spielte und Räubergeschichten erzählte – es war traurig, mitanzusehen wie er im Alter schwer dement wurde. Er hat noch ein bisschen was von früher erzählt, vom Krieg, aber ganz am Ende war sein Tod für alle eine Erlösung. Demenz ist mein persönliches Schreckgespenst, meine Angst.



Opa und Oma haben 1949 geheiratet, da war sie schon mit meinem Vater schwanger. Sie stammt aus einem Bauerngut, hat Hauswirtschaft gelernt und war wohl auch bei anderen Familien in Stellung. Wenn ich die Erzählungen meines Opas richtig deute, war er ihren Eltern (erst mal?) nicht gut genug. Er war sehr stolz drauf, dass er ihr ein gutes Leben und ein schönes Heim verschaffen konnte. Sie hat ihn bestimmt geliebt, ob es bei ihm mehr als Stolz war… vielleicht ist das Herzliche auch nur bei zunehmender Demenz untergegangen. Auch Oma hat in der Brauerei gearbeitet, am Band bei Abfüllung und Flaschenwaschen. Sie war für uns Enkel immer da, es gab immer ein Marmeladenbrot, wenn wir nach der Schule vorbeischauten. Wir haben ganze Ferienwochen dort verbracht, sind im Garten herumgesprungen, wurden mit Lieblingsessen bekocht. Es tut mir leid, dass ich später so wenig Zeit mit ihr verbracht habe, immer nur mal auf einen Sprung vorbeigeschaut habe. Schlechtes Gewissen, das ich nicht ändern kann.
Wir haben immer gesagt, wenn Opa stirbt, legt sich Oma daneben. Aber dann ist sie gestorben, weil sie nicht noch mal operiert werden wollte, weil sie nicht mehr wollte und konnte, und für Opa ging es noch fast 10 Jahre abwärts in die Demenz.

Ich kann mich auch an den Vater dieser Oma erinnern, als alten Mann in Cordhose, der auf der Bank vor dem Haus sitzt. Aber vielleicht sind es auch nur Erinnerungen, die auf alten Fotos beruhen, ich war wohl etwa 2 oder 3 als er starb (aber ich erinnere mich auch an die Schweine, die es zu der Zeit gab und von denen gibt es keine Fotos…)

mütterliche Seite:

Der Vater meiner Mutter war ein Einzelkind, der wurde 1914 im Krieg geboren, seine Eltern waren da nicht verheiratet. Seine Mutter war eine Blechfabrikarbeiterin, sein Vater Stricker, zumindest steht das in der Heiratsurkunde seiner Eltern. 1918 haben die doch noch geheiratet, 1918 ist der Vater dann aber in Frankreich noch gefallen. Ob und was mein Opa gelernt hat, weiß ich nicht. Er war im 2. Weltkrieg, in Stalingrad, glaube ich. Nach dem Krieg hat er verschiedene Arbeiten gemacht, Heizer, Transportfahrer, Fabrikarbeiter. Als letztes war er Maschinengehilfe in der Papierfabrik, daher die großen Bögen glattes Papier, auf denen wir Kinder malen konnten. Auch er hat zu Hause mit Holz gearbeitet, gedrechselt vor allem. Wir haben alle Engel und Kerzenleuchter von ihm, Blumenbänckchen, Klöppel und anderes mehr, das bleibt uns. Er ist über 90 geworden – mit einer gewissen schadenfrohen Genugtuung, dem Staat damit lange Rente abzuknöpfen. Und bei einer meiner letzten Begegnungen hat er gesagt „Kind, du schreibst doch gerne, dir müsste ich mal mein Leben erzählen.“ Hätten wir das mal gemacht.



Die Mutter meiner Mutter wurde 1913 geboren, sie hat im 2. Weltkrieg zwei Kinder bekommen, die beiden anderen danach – meine Mutter als jüngste war ein Nachzügler, da war ihre Mutter schon 40. Oma hat für die Strumpffabrik im Ort in Heimarbeit gearbeitet, vielleicht auch in der Fabrik selbst – ich kann mich erinnern, dass sie uns da mal mit reingenommen hat. Aber da muss sie eigentlich schon Rentnerin gewesen sein…
Oma und Opa haben in einem winzigen Häuschen gelebt – ich kann mir kaum vorstellen, wie das mit 4 Kindern ging. Sie haben immer schwer gearbeitet, sie waren auch immer viel in der Natur – aber inzwischen weiß ich, dass das Pilzesuchen und Beerensammeln zumindest früher nicht nur Hobby sondern Notwendigkeit war, weil sie keinen Garten hatten, um etwas anbauen zu können. Ich erinnere mich gut, wie meine Oma Waldhimbeeren geputzt und eingekocht hat, Vitamine für den Winter. Ich erinnere mich auch, wie wir immer Halma gespielt haben – auch wenn ich gegen Oma und meine Mutter da jämmerlich untergegangen bin. Sie starb 1985, das war das erste Mal, dass ich meine Mutter habe richtig Weinen sehen.

Wir haben noch ein paar Fotos, ein paar Namen und Daten – aber schon auf den Fotos ist es schwer, die Leute zu identifizieren. Für meine Eltern schon, für mich und meine Schwester erst recht. Für richtige Ahnenforschung fehlt mir allerdings die Geduld, auch wenn es mich schon sehr interessiert. Immerhin hab ich mal versucht, den Mädchennamen meiner Urgroßmutter zu googlen – ohne Erfolg, was ich auch schon fast bemerkenswert finde.

Und noch eine hübsche Erkenntnis: ich hab bei meiner Urgroßmutter meine Augen erkannt. :)

Stimmung:
dokumentierend

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